Flucht über die March

Quelle: Institut für Nationales Gedenken (UPN), BratislavaWie gelangte man damals über die March?
Ľ. Morbacher: Bis 1952 wurden die Flüchtlinge mit Booten über die March gebracht, danach konnten sie nur mehr darüber schwimmen. Vor allem bei Hochwasser bildete die March ein großes Hindernis, immer wieder sind Menschen ertrunken. Die in der Region Záhorie lebenden Fluchthelfer wussten, dass man den Fluss nur bei Niederwasser sicher überqueren konnte. Bei Hochwasser oder bei Eistreiben musste man den Zeitpunkt der Flucht um Tage oder Wochen verschieben. Manche Flucht war geradezu genial „inszeniert“: 1956 löste auf einem Schiff, das Richtung Theben unterwegs war, ein Tourist eine Panik aus: Ein Kind ist ins Wasser gefallen! Der Mann sprang „spontan“ ins Wasser, um das bereits untergegangene Kind zu retten. Vor den Augen seiner verblüfften Mitreisenden tauchte er plötzlich am österreichischen Ufer auf! Ein anderer kletterte auf einen hohen Nussbaum, der beim Grenzzaun stand. Aus mehreren Metern Höhe sprang er über den Stacheldraht und schwamm ans gegenüberliegende Ufer. Einem Bürger aus Zohor gelang es zwar im Kugelhagel über die March zu schwimmen, er blieb aber schwer verletzt am Ufer liegen. Unsere Grenzsoldaten fuhren hinüber und brachten ihn wieder zurück. So etwas passierte öfters, da unsere Soldaten mit einer hohen Belohnung rechnen konnten.

Wussten die Flüchtlinge, was sie am anderen Ufer erwartet?
Ľ. Morbacher: Bis in die frühen Fünfzigerjahre gab es auf unserer Seite noch genug mutige Anrainer, die sie versteckten und mit Nahrung versorgten, bis die Fluchthelfer sie über die March brachten. Niederösterreich gehörte damals zur sowjetischen Besatzungszone, daher war auch dort Vorsicht geboten. Übernachtet wurde in Heustadeln, Bauern und Forstarbeiter zeigten sich hilfsbereit. Von der March führte der Weg zuerst nach Wien, denn in Gänserndorf war der sowjetische Sicherheitsdienst NKWD stationiert. Die Sowjets hatten überall ihre Informanten. Für jeden Gefangenen bot man die damals stattliche Summe von 300 Schilling. Trotzdem waren relativ wenige Österreicher bereit, Flüchtlinge auszuliefern – insgesamt betraf das einige Dutzend. In Wien übernahm der US Geheimdienst die Flüchtlinge und brachte diese in ihre Zone, vorwiegend nach Linz. Ab 1955 konnte Österreich als Staat direkt intervenieren wie beispielsweise 1967, als mehrere DDR Bürger im Mündungsgebiet bei Theben übersetzten. Ein Mann wurde auf niederösterreichischem Gebiet erschossen, worauf die Republik Österreich scharf protestierte.

Wer Fluchtversuche nicht meldete, bekam selber Schwierigkeiten?
Ľ. Morbacher: Im Jahre 1988 gelang es einem Ehepaar aus der DDR bei Vysoká nad Moravou auf dem Dach ihres Autos stehend blitzschnell ein Loch in den Zaun zu schneiden und über die March zu schwimmen; die Frau wurde durch eine Kugel schwer verwundet. Ein Verwandter brachte sie nach Berchtesgaden, da in der DDR das Gerücht kursierte, die Österreicher würden Flüchtlinge an die ČSSR Behörden ausliefern. Ein Dorfbewohner sah die beiden am Zaun hantieren, unternahm aber nichts. Danach hatte er riesige Probleme, sein „Versagen“ zu erklären: wer beim kleinsten Verdacht die Wachen nicht alarmiert, machte sich strafbar. Soldaten, denen jemand entwischt war, wurden verhört und schikaniert. Konnten sie hingegen Flüchtende fangen, erhielten sie Sonderurlaube, Uhren und andere Belohnungen. Das Dorf Vysoká lag am allernächsten zur Grenze und immer wieder kamen Bürger von weither, insbesondere aus der DDR, um hier ihr Glück zu versuchen.

Auch der Thebener Kogel war ein strategischer Punkt.
Ľ. Morbacher: Die Sowjetunion positionierte ihre Raketen so nahe als möglich an der Grenze; auch am Thebener Kogel befand sich eine streng bewachte Abschussrampe. Vom Westhang aus hat man einen herrlichen Ausblick, weit ins Marchfeld hinein. Diesen Umstand nutzte manch einer, um mögliche Fluchtwege auszukundschaften. In den 1980er Jahren kam es deshalb öfter vor, dass die Spaziergänger dort oben angehalten und verhört wurden: Warum sie denn hier unterwegs sind?! Unten, entlang der March, konnte man damals nicht spazieren gehen, dort befand sich die Verbotszone. Dort, wo heute der Radweg verläuft, befand sich der Kolonnenweg der Grenzwache.

Wurde der Eiserne Vorhang von Österreichern überschritten?
Ľ. Morbacher: Einmal gab es folgenden Vorfall: ein Österreicher auf unserer Seite aufgegriffen und schwer misshandelt. Danach wurde er in ein Pressburger Krankenhaus überstellt, wo man feststellte, dass er geisteskrank war. Da unsere Seite den Vorfall geheim hielt, ist anzunehmen, dass die Österreicher gar nicht wussten, wohin der Mann verschwunden war. Vielleicht hat es weitere derartige Vorfälle gegeben, wir wissen es nicht. Das Innenministerium der ČSSR hatte den Befehl gegeben, alle „Agenten“ und „Terroristen“ heimlich zu begraben. Die Toten verschwanden spurlos in ungekennzeichneten Gräbern. In den 80er Jahren gelang es einer Gruppe Pressburger auf kuriose Weise die Flucht: In Petržalka, wo sowjetische LKW auf ihrem Wege nach Österreich einen Stopp einlegten, gelang es einer Gruppe die Zollplomben abzumontieren, sich drinnen zu verstecken und nach Österreich zu kommen. Das war ein Riesenskandal. Die Zöllner wurden verhört, der Zöllner an der Grenzstelle Berg wurde nicht verurteilt, weil er kein Verschulden nachgewiesen wurde.

Interview: Mag. Barbara Grabner

Foto: Institut für Nationales Gedenken (UPN), Bratislava

Infos in Englisch: www.upn.gov.sk

The Morava-Dyje Platform

Das March-Thaya (MARTHA) Forum

ist eine Kooperationsplattform von WissenschafterInnen, Natur- und Umweltschutzorganisationen, die an March und Thaya aktiv sind. Unser Ziel ist es, eine nachhaltige Entwicklung in der Region voranzutreiben und aktuelle Bedrohungen von der einzigartigen Flusslandschaft im Herzen Europas abzuwenden.

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