Die March-Thaya Auen
Eine dynamische Flusslandschaft mit ungewisser Zukunft
von Thomas Zuna-Kratky (aus der March Sondernummer - Naturschutzbunt 2/08)
Wer einmal im Frühling die Ringelsdorfer Wiesen bei Hochwasser gesehen hat, übervoll mit blau leuchtenden Moorfröschen, nachts in Rabensburg das laute Knarren der Wachtelkönige aus dem ohrenbetäubenden Konzert der Laubfrösche heraushören konnte, wer auf einem versteckten Sandhügel mitten im Auwald das Dünen-Stiefmütterchen entdeckte oder im Hochsommer auf der Langen Luß in großen Scharen Schwarzstörche und Silberreiher auffliegen sah – der versteht die Faszination, die diese ungewöhnliche Flusslandschaft auf ihre Besucher ausübt.
Dreiländereck Österreich-Slowakei-Tschechien
March und Thaya, die sich im Dreiländereck Österreich-Slowakei-Tschechien vereinen, um nach weiteren 70 Flusskilometern bei Hainburg in die Donau zu münden, sind in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Das alljährliche Hochwasser erstreckte sich vor der Abdämmung der Auen an manchen Stellen über eine Breite von sechs Kilometern – der Neusiedler See an seiner breitesten Stelle ist kaum ausgedehnter! Schon wenige Wochen später hat sich das Wasser oft so stark zurückgezogen, dass man mühelos den Fluss durchwaten kann und die zuvor meterhoch überschwemmten Auenwiesen unter Schwundrissbildung austrocknen.
Extreme Lebensbedingungen für Tiere und Pflanzen
Die bemerkenswert starke Dynamik stellt für die hier lebenden Tier- und Pflanzenarten eine besondere Herausforderung dar. Extreme Lebensbedingungen führen zum Auftreten zahlreicher Spezialisten, die vielfach hier ihr bedeutendstes Vorkommen in Mitteleuropa besitzen. Klassisches Beispiel dafür sind etwa die „Urzeitkrebse“. Die Lage des Gebietes am Rande des Karpatenbeckens führt überdies dazu, dass für uns ungewohnte Floren- und Faunenelemente aus dem Osten auftreten, wie etwa die im Auwald bestandsbildende Quirlesche oder die Neusiedler Strandschrecke, die ihr nächstliegendes Vorkommen im Seewinkel hat.
Wasser verändert die Landschaft
Die formende Kraft des Wassers verändert die Landschaft und lässt Lebensräume entstehen und wieder verschwinden. Scheinbare Fixpunkte lösen sich im historischen Rückblick bald auf. So mündete die Thaya im Mittelalter noch zehn Kilometer weiter südlich bei Drösing in die March, heute zeugen davon nur alte Flurnamen und ein Netz an Altbetten, welche die einstigen Flussläufe nachzeichnen. Selbst nach der Zähmung der Flüsse durch den Wasserbau in den letzten 50 Jahren bilden sich hier und da Inseln und Steilwände, das Wasserbett verändert sich. Viele einst selbstverständliche Elemente der Gewässerneubildung und Flussverlagerung sowie der Entstehung der Weichen Au sind verschwunden.
Menschliche Besiedelung seit 20.000 Jahren
Nicht nur das Hochwasser bringt Dynamik in den Lebensraum. Seit über 20.000 Jahren ist das Gebiet durchgehend vom Menschen besiedelt, wie die reichhaltigen Funde bei Stillfried belegen. Selbst mitten in der Au finden sich noch Siedlungsspuren, im 9. Jahrhundert lag gar das Zentrum des südmährischen Reiches inmitten des von unzähligen Gewässern durchzogenen March-Thaya-Winkels. Die March-Thaya-Auen, wie wir sie heute kennen und schätzen, wurden ganz entscheidend durch jahrhundertealte traditionelle menschliche Nutzung geprägt. Mittelwälder mit mächtigen Eichenüberhältern, artenreiche Brenndoldenwiesen, ausgedehnte Kopfweidenbestände, auf denen Graugänse brüten, nicht zuletzt die aus ehemaligen Absetzbecken einer Zuckerfabrik entstandenen vogel.schau.plätze: all das zeugt von Aktivität der Menschen.
Entwaldung seit dem Mittelalter verstärkt Hochwässer
Selbst die spektakulären Frühlingshochwasser gibt es erst, seitdem Siedler im 13. Jahrhundert mit der Urbarmachung des Waldviertels und der Sudeten begannen und damit die Einzugsgebiete der beiden Flüsse entwaldeten. Der fehlende Rückhalt ließ die Hochwasser immer heftiger werden und drängte dabei auch die flussnahen Siedlungen wieder an den Rand der Au. Selbst das neu gegründete Drösing musste schon nach kaum hundert Jahren fast zwei Kilometer landeinwärts verlegt werden.
Wichtiges Ramsar-Schutzgebiet
Nicht umsonst dienen die Auen als bedeutendes Ramsar-Gebiet dem Schutz der Pflanzen- und Tierwelt der Feuchtgebiete. Beringte Graugänse und Löffler belegen, dass die March-Thaya-Auen eine bedeutende Rolle als Bindeglied in einem riesigen mitteleuropäischen Feuchtgebietskomplex spielen, der sich von den südböhmischen und südmährischen Teichlandschaften südwärts bis über den Neusiedler See erstreckt. Wahrscheinlich werden auf diesen Wanderrouten auch seltene Pflanzen- und Tierarten, wie etwa die Urzeitkrebse, verbreitet.
Vom Eisernen Vorhang zum Grünen Band
Mit dem Fall des Eisernen Vorhanges im Jahr 1989 haben nicht nur die Auhirsche und Wildschweine diesen alten Wanderkorridor wieder genutzt, es kam auch zu einer intensiven grenzübergreifenden Zusammenarbeit der Forscher und Naturschützer. Das jahrzehntelang weitgehend unbekannte Auenland an der Grenze erlebte einen rasanten Zuwachs an öffentlicher Aufmerksamkeit. Vor allem der Distelverein und seine slowakischen Partner von Daphne, aber auch weitere NGOs wie WWF, NATURSCHUTZBUND NÖ und Auring auf österreichischer sowie Veronica und BirdLife auf tschechischer Seite konnten – unterstützt durch nationale und internationale Geldgeber – in den folgenden zwölf Jahren im Rahmen zahlreicher Projekte die naturschutzfachliche Qualität des Gebietes entscheidend verbessern. Rückbaumaßnahmen am Fluss und Vernetzungen von Augewässern belebten die bereits stark gebremste Flussdynamik. Vorhaben wie großflächige Wiesenrückführungsprogramme, die Ausweisung von Horstschutzgebieten und Biberrandstreifen oder der Aufbau der vogel.schau.plätze brachten wichtige Impulse im Arten- und Lebensraumschutz.
Aktuell: Region unter Druck
Die letzten Jahre führten jedoch unerwartet zu einem markanten Umschwung im Schutz der Region. Änderungen der landwirtschaftlichen Rahmenbedingungen führten selbst in naturschutzfachlich wertvollen Kerngebieten zur Wiederbewirtschaftung lange stillgelegter Ackerflächen im Überschwemmungsgebiet. Hochwasserschutzmaßnahmen machen selbst vor Naturschutzgebieten nicht halt, statt der Ausweitung des Retentionsraumes werden neue Dämme errichtet. Die letzten naturnah verjüngten Altholzbestände der oberen March-Auen fallen der Nutzung zu, und das einstige Vogelparadies des Kühlteichs bei Hohenau wird in einen Fischteich umgewandelt. Selbst die kürzlich erfolgte Ausweisung als „Trilaterales Ramsar-Gebiet“ macht nicht wirklich froh, solange diesem neuen „Orden“ an der bereits reich geschmückten Brust der March-Thaya-Auen nicht konkrete Maßnahmen vor Ort folgen.
Die vielfach mit hoheitlichen Schutzkategorien belegten March-Thaya-Auen zeigen sehr eindrücklich, dass erfolgreicher Naturschutz trotzdem das Engagement und die Begeisterung von Vereinen und Privatpersonen benötigt. Ohne aufrichtige Unterstützung durch den amtlichen Naturschutz geht auch diesen aber eines Tages die Luft aus.
von Thomas Zuna-Kratky (aus der March Sondernummer - Naturschutzbunt 2/08)
Wer einmal im Frühling die Ringelsdorfer Wiesen bei Hochwasser gesehen hat, übervoll mit blau leuchtenden Moorfröschen, nachts in Rabensburg das laute Knarren der Wachtelkönige aus dem ohrenbetäubenden Konzert der Laubfrösche heraushören konnte, wer auf einem versteckten Sandhügel mitten im Auwald das Dünen-Stiefmütterchen entdeckte oder im Hochsommer auf der Langen Luß in großen Scharen Schwarzstörche und Silberreiher auffliegen sah – der versteht die Faszination, die diese ungewöhnliche Flusslandschaft auf ihre Besucher ausübt.
Dreiländereck Österreich-Slowakei-Tschechien
March und Thaya, die sich im Dreiländereck Österreich-Slowakei-Tschechien vereinen, um nach weiteren 70 Flusskilometern bei Hainburg in die Donau zu münden, sind in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Das alljährliche Hochwasser erstreckte sich vor der Abdämmung der Auen an manchen Stellen über eine Breite von sechs Kilometern – der Neusiedler See an seiner breitesten Stelle ist kaum ausgedehnter! Schon wenige Wochen später hat sich das Wasser oft so stark zurückgezogen, dass man mühelos den Fluss durchwaten kann und die zuvor meterhoch überschwemmten Auenwiesen unter Schwundrissbildung austrocknen.
Extreme Lebensbedingungen für Tiere und Pflanzen
Die bemerkenswert starke Dynamik stellt für die hier lebenden Tier- und Pflanzenarten eine besondere Herausforderung dar. Extreme Lebensbedingungen führen zum Auftreten zahlreicher Spezialisten, die vielfach hier ihr bedeutendstes Vorkommen in Mitteleuropa besitzen. Klassisches Beispiel dafür sind etwa die „Urzeitkrebse“. Die Lage des Gebietes am Rande des Karpatenbeckens führt überdies dazu, dass für uns ungewohnte Floren- und Faunenelemente aus dem Osten auftreten, wie etwa die im Auwald bestandsbildende Quirlesche oder die Neusiedler Strandschrecke, die ihr nächstliegendes Vorkommen im Seewinkel hat.
Wasser verändert die Landschaft
Die formende Kraft des Wassers verändert die Landschaft und lässt Lebensräume entstehen und wieder verschwinden. Scheinbare Fixpunkte lösen sich im historischen Rückblick bald auf. So mündete die Thaya im Mittelalter noch zehn Kilometer weiter südlich bei Drösing in die March, heute zeugen davon nur alte Flurnamen und ein Netz an Altbetten, welche die einstigen Flussläufe nachzeichnen. Selbst nach der Zähmung der Flüsse durch den Wasserbau in den letzten 50 Jahren bilden sich hier und da Inseln und Steilwände, das Wasserbett verändert sich. Viele einst selbstverständliche Elemente der Gewässerneubildung und Flussverlagerung sowie der Entstehung der Weichen Au sind verschwunden.
Menschliche Besiedelung seit 20.000 Jahren
Nicht nur das Hochwasser bringt Dynamik in den Lebensraum. Seit über 20.000 Jahren ist das Gebiet durchgehend vom Menschen besiedelt, wie die reichhaltigen Funde bei Stillfried belegen. Selbst mitten in der Au finden sich noch Siedlungsspuren, im 9. Jahrhundert lag gar das Zentrum des südmährischen Reiches inmitten des von unzähligen Gewässern durchzogenen March-Thaya-Winkels. Die March-Thaya-Auen, wie wir sie heute kennen und schätzen, wurden ganz entscheidend durch jahrhundertealte traditionelle menschliche Nutzung geprägt. Mittelwälder mit mächtigen Eichenüberhältern, artenreiche Brenndoldenwiesen, ausgedehnte Kopfweidenbestände, auf denen Graugänse brüten, nicht zuletzt die aus ehemaligen Absetzbecken einer Zuckerfabrik entstandenen vogel.schau.plätze: all das zeugt von Aktivität der Menschen.
Entwaldung seit dem Mittelalter verstärkt Hochwässer
Selbst die spektakulären Frühlingshochwasser gibt es erst, seitdem Siedler im 13. Jahrhundert mit der Urbarmachung des Waldviertels und der Sudeten begannen und damit die Einzugsgebiete der beiden Flüsse entwaldeten. Der fehlende Rückhalt ließ die Hochwasser immer heftiger werden und drängte dabei auch die flussnahen Siedlungen wieder an den Rand der Au. Selbst das neu gegründete Drösing musste schon nach kaum hundert Jahren fast zwei Kilometer landeinwärts verlegt werden.
Wichtiges Ramsar-Schutzgebiet
Nicht umsonst dienen die Auen als bedeutendes Ramsar-Gebiet dem Schutz der Pflanzen- und Tierwelt der Feuchtgebiete. Beringte Graugänse und Löffler belegen, dass die March-Thaya-Auen eine bedeutende Rolle als Bindeglied in einem riesigen mitteleuropäischen Feuchtgebietskomplex spielen, der sich von den südböhmischen und südmährischen Teichlandschaften südwärts bis über den Neusiedler See erstreckt. Wahrscheinlich werden auf diesen Wanderrouten auch seltene Pflanzen- und Tierarten, wie etwa die Urzeitkrebse, verbreitet.
Vom Eisernen Vorhang zum Grünen Band
Mit dem Fall des Eisernen Vorhanges im Jahr 1989 haben nicht nur die Auhirsche und Wildschweine diesen alten Wanderkorridor wieder genutzt, es kam auch zu einer intensiven grenzübergreifenden Zusammenarbeit der Forscher und Naturschützer. Das jahrzehntelang weitgehend unbekannte Auenland an der Grenze erlebte einen rasanten Zuwachs an öffentlicher Aufmerksamkeit. Vor allem der Distelverein und seine slowakischen Partner von Daphne, aber auch weitere NGOs wie WWF, NATURSCHUTZBUND NÖ und Auring auf österreichischer sowie Veronica und BirdLife auf tschechischer Seite konnten – unterstützt durch nationale und internationale Geldgeber – in den folgenden zwölf Jahren im Rahmen zahlreicher Projekte die naturschutzfachliche Qualität des Gebietes entscheidend verbessern. Rückbaumaßnahmen am Fluss und Vernetzungen von Augewässern belebten die bereits stark gebremste Flussdynamik. Vorhaben wie großflächige Wiesenrückführungsprogramme, die Ausweisung von Horstschutzgebieten und Biberrandstreifen oder der Aufbau der vogel.schau.plätze brachten wichtige Impulse im Arten- und Lebensraumschutz.
Aktuell: Region unter Druck
Die letzten Jahre führten jedoch unerwartet zu einem markanten Umschwung im Schutz der Region. Änderungen der landwirtschaftlichen Rahmenbedingungen führten selbst in naturschutzfachlich wertvollen Kerngebieten zur Wiederbewirtschaftung lange stillgelegter Ackerflächen im Überschwemmungsgebiet. Hochwasserschutzmaßnahmen machen selbst vor Naturschutzgebieten nicht halt, statt der Ausweitung des Retentionsraumes werden neue Dämme errichtet. Die letzten naturnah verjüngten Altholzbestände der oberen March-Auen fallen der Nutzung zu, und das einstige Vogelparadies des Kühlteichs bei Hohenau wird in einen Fischteich umgewandelt. Selbst die kürzlich erfolgte Ausweisung als „Trilaterales Ramsar-Gebiet“ macht nicht wirklich froh, solange diesem neuen „Orden“ an der bereits reich geschmückten Brust der March-Thaya-Auen nicht konkrete Maßnahmen vor Ort folgen.
Die vielfach mit hoheitlichen Schutzkategorien belegten March-Thaya-Auen zeigen sehr eindrücklich, dass erfolgreicher Naturschutz trotzdem das Engagement und die Begeisterung von Vereinen und Privatpersonen benötigt. Ohne aufrichtige Unterstützung durch den amtlichen Naturschutz geht auch diesen aber eines Tages die Luft aus.